Barbara Philipp widmet sich dem menschlichen Gesicht,
dargestellt in einer Vielzahl künstlerischer Darstellungsformen
Barbara Philipp zeigt „An(ge)sichtssache“ in der Galerie Camino
Mit vielen Techniken lotet die Künstlerin Grenzen aus.
pebe ■ Die Augen machen eine Grenzerfahrung: Was ist Voreiergrund, was Hintergrund? Stehen da beziehungslos monochrome Farbflächen beieinander oder wird aus diesen Arrangements bei ungenauer Betrachtung ein Gesicht? Was geschieht in uns, wenn wir mit den Darstellungen von Gesichtern konfrontiert werden? Die rund 40 Arbeiten, die Barbara Philipp von Sonntag an (Eröffnung um 16 Uhr) in der Galerie Camino in Flammersbach ausstellt, sind ein Ausflug zu den Wurzeln des Sehens. ,,An(ge)sichtssache" hat die Künstlerin die Ausstellung genannt. Untertitel: ,,Neorealismus eigener Prägung"
Im Grunde, sagt die 62-Jährige im Gespräch mit der SZ, freue sie sich einfach über die vielen Techniken, mit denen sie ihre Ideen umsetze. Nicht umsonst haben ihre Arbeiten eine gewisse „Griffigkeit", ganz gleich, ob sie aus Stoffen, Filz oder Papier, mit Kohle, Graphit oder Acryl gestaltet sind. In der Galerie Camino zeigt sie vor allem Gesichter. An ihnen faszinieren sie „die Emotion und der Charakter, die sichtbar werden“. Was aber genau sichtbar wird, ist ein Prozess bei den Betrachtenden, der vielschichtig ist, sich aus Erfahrungen, Erinnerungen und Wahrnehmungsgewohnheiten speist (darauf verweist der Titel der Ausstellung).
Das zeigt sich z. B. an drei großflächigen Patchwork-Arbeiten mit Anklängen an Pixel Art, die eine ganze Wand der Galerie einnehmen: beim ersten Betrachten „verpixelte“ Flächen, die scheinbar zufällige Farbkonzentrationen aufweisen. Aber das Auge sucht - das Gehirn kann nicht anders - nach Mustern, und die zeigen sich, wenn ein anderer Standpunkt (oder Blickwinkel) eingenommen wird. Dann entpuppt sich das „zufällige" Schwarz-Weiß als der Songpoet Leonard Cohen, den Barbara Philipp sehr schätzt und dessen markantes Gesicht die Besucher vielfach und immer wieder neu auf Collagen, Zeichnungen oder Acrylbildern entdecken können. Daneben, monochrom in Grün und Blau ausgeführt, ,,erscheinen" ihre Kinder. Rainer Maria Rilke ist ein weiterer Dichter, der es Barbara Philipp angetan hat. So spürt sie bildlichen Aussagen über Gesichter der Menschen bei Rilke nach und setzt sie um: ,,Nicht-Gesichter“ beispielsweise, oder auch Gesichter „die nie getragen wurden“. Sie werden sichtbar in scheinbar einfachen Kreuzstich-Stickereien, die mit ihrer „Grobkörnigkeit" - ähnlich wie die Patchwork-Arbeiten wieder eine Grenzerfahrung darstellen: Die Handarbeit ist zur Kunst geworden. Fast poetisch wirken die maskenartigen Gesichter, die sich aus selbst gewalktem Filz erheben, ephemere Abdrücke, die auf einen Grenzraum zwischen Rätsel und Erkenntnis hinweisen.
Wie überhaupt das sorgfältige und doch frei entfaltete Handwerk eine wichtige Rolle in ihrer Arbeit spielt, Mehrfarbdrucke etwa, Kohlezeichnungen oder das Experimentieren mit Transparentpapier und Collagen. Und monatelang sitze sie an den, Patchwork-Arbeiten, nähe die quadratischen Patches Reihe für Reihe aneinander, die sie zuerst als Bildfläche ausgelegt hat, erzählt sie. „Man sitzt endlos an der Nähmaschine und verliert sich fast darin."
Anders bei den Zeichnungen: „Da fügen sich spontane Bewegungsimpulse durch die Annäherung an Konzentrationspunkte zu Bildern von Antlitzen, eine sehr meditative Arbeit", befindet Barbara Philipp lächelnd. Und noch eine wichtige Grenze erforscht sie: das Changieren von Licht und Schatten. Hier zeigt sich ein Bezug zum „Neorealismus“ und seiner Hinwendung zur Wahrnehmung des Alltäglichen.
Den rührigen Galeristen und Künstler Wilhelm Berner, der bei der Hängung hilfreich zur Seite steht, freut es: ,,Mir ist es wichtig, immer wieder Neues hier in der Galerie Camino zu haben. Für mich zählen die Vielfalt und die Ideen." Genau diese werden in der Ausstellung sichtbar - und hinterlassen tiefreichenden Eindruck.
Quelle: Siegener Zeitung, Kultur - 6.3.2020 Text und Foto: pebe, Peter Barden